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AUF DER SUCHE NACH EINER VERLORENEN WELT, TEIL 1: COSTA RICA

erschienen im Purpose Magazin

Der Traum vom Reisen in der weiten Welt wurde noch ganz anders Wirklichkeit, als unser Autor (geboren 1927) jung war. Seine Berichte laden uns ein, eine verlorene Welt wiederzuentdecken. Der erste entführt uns nach Costa Rica im Jahr 1990.

Hier erfahren Sie mehr über:

TEXT: Wolfgang Eckstein

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Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv. www.wolfgangeckstein.eu

Johann Sebastian Bach, Schöpfer einer das Weltall umspannenden Musik —Welch beziehungsreicher Name für den himmelstürmenden Jet, der mich über den Atlantik trägt und dem großen Musiker ein Stück näher bringt. Was würde der alte Johann Sebastian wohl sagen, wenn er seinen Namen heute hoch über den Wolken lesen könnte?

Recht nüchtern klingt dagegen ein Dialog zwischen zwei Fluggästen kurz vor der Zwischenlandung: „Wo ist denn Curacao?“ Lapidare Antwort: „In der Flasche“.
Ein schmalgesichtiger Mond tanzt noch einige Zeit auf der glänzenden Tragfläche, als die Maschine in Curacao, das dem berühmten Getränk seinen Namen gab, aufsetzt. Nach einem kurzen Aufenthalt geht es weiter über die Sierra Nevada Kolumbiens, in dem der Drogenkrieg tobt, nach Guatemala.
Und von dort nach Nicaragua, das gerade einen Waffenstillstand mit den Contras vereinbart. Schließlich Ankunft in San José, der Hauptstadt von Costa Rica.

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MARIACHI UND MARKTTREIBEN IN SAN JOSÉ

Seit meinem Abflug in München sind 22 Stunden vergangen und entsprechend fühle ich mich. Doch meine Müdigkeit verfliegt bei dem Gedanken, am Flaschenhals Zentralamerikas zu sein, in einem Land, das vieles verspricht. So kann ich es kaum erwarten, in das Abenteuer Costa Rica einzusteigen.
Das Hotel liegt mitten im Zentrum gegenüber dem National-Theater und ist beliebter Treffpunkt der Ticos, wie die Einheimischen sich nennen. So tauche ich ein in den Trubel der Stadt. Mariachi-Musik da, Markttreiben dort. Fliegende Händler bieten die schönsten Tropenfrüchte an, Studenten liegen gelangweilt in der Sonne. Eine frische Kokos-Milch belebt mich. Die äußerst preiswerten Angebote in den überquellenden Läden locken zum Kauf. Leider sind kunstvoll gearbeitete Korbmöbel und bequeme Hängematten zu groß für das Reisegepäck.

Eine frische Brise trägt den Abend in die Stadt, die um 20 Uhr schon in Dunkelheit liegt. Als Ausgleich schleichen sich um 5 Uhr früh, nach einer unruhigen Nacht, gleißende Sonnenstrahlen am Vorhang   vorbei und wecken mich erbarmungslos, zusammen mit einem unglaublichen Straßenlärm. Irgendjemand empfiehlt eine Fahrt mit der „Dschungelbahn“. Das klingt recht interessant.

MIT DER DSCHUNGELBAHN DURCH „DIE SCHWEIZ“

Pünktlich bin ich am Bahnhof und was mich erwartet, kann doch nur ein Scherz sein: Total ausgeleierte Schmalspurgleise und ein museumsreifer Zug. Winzige Wagen mit klapperigen und völlig blinden Fenstern, die man besser als Gartenlaube verwenden sollte. Dafür gibt dieser ärmliche Zug ein Abfahrtssignal, so imposant wie ein Orient-Express. Mit ca. 20 Stundenkilometern geht es dahin. Quietschend, kreischend und mit einem rumpelnden Geschepper, wie in einer Großküche. Man muss sich ständig festhalten, um nicht durch die Gegend zu fliegen. Die Fahrgäste schwanken wie Rohr im Wind.

Es geht vorbei an riesigen Kaffee-Plantagen, zwischen denen immer wieder baufällige bunte Holzhütten mit rostigen Wellblechdächern stehen, aber mit Fernsehantennen, auch wenn die Behausung noch so ärmlich aussieht.

Dann Schweizer Landschaft mit weiten, saftiggrünen Wiesen und den dazugehörigen „glücklichen Kühen“, die allerdings keine Glocken tragen. Niedrige, an die sanften Hügel hingeduckte Farmhäuser. In jedem Dorf wird gehalten und es sind deren Dutzende. Mit Sack und Pack springt man dann von der Plattform. Meistens wartet schon ein Pferd als Taxi. Eine unendliche Geduld ist notwendig, wenn man mit diesem holpernden Relikt aus dem vorigen Jahrhundert fährt. Plötzlich ein Halt hoch oben am Berg, um den Gegenzug vorbeizulassen. Der aber kommt erst nach zwei Stunden dahergekeucht. Inzwischen bin ich in dem glühend heißen Waggon zum Bratapfel geworden.

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SAVANNEN, VULKANENEN, DSCHUNGEL UND PALMEN

Umso mehr genieße ich die Weiterfahrt durch ein Land von paradiesischer Schönheit. Die weite Savanne, durchzogen mit glitzernden, weißschäumenden Flüssen. Bergtäler, angefüllt mit riesigen Bäumen. Wie eine Schlange windet sich der Zug durch schmale Schluchten, schaukelt donnernd über gefährlich aussehende Brücken. Das tropische Gebüsch an den Gleisen ist zum Greifen nah.

Es werden Papayas, Melonen, Mandarinen, Nüsse, Eis, Leckereien und Drinks angeboten. Je näher wir der Karibik kommen, umso tropischer wird die Umgebung. Bald sind wir mitten im Dschungel. Modriger Geruch zieht durch die Fenster. Bananenbäume, Palmen, haushohe Farne und prachtvolle Orchideen gestalten eine Tropen-Kollage. Baumkronen, von Pflanzen wie Girlanden oder Lametta behangen. Am Ziel der über sechsstündigen Schaukelpartie: ein kurzer Besuch auf einer Bananen-Plantage und dann eine Nachtfahrt mit dem Bus zurück nach San José, der Hauptstadt.

ABENTEUER PAN-AMERICANA

Heute beginnt die Safari durch das Land. Der Guide Enrice war für zwei Jahre in Deutschland, und das beseitigt alle Sprachschwierigkeiten. Er und der Fahrer Cäsar sehen zusammen genauso aus wie das bekannte Westernpaar Bud Spencer und Terence Hil. Auf der berühmten Pan-Americana geht es Richtung Norden. Die ersten 90 Kilometer schaffen wir in einer Stunde, dann aber beginnt eine Schotterstraße nach Monte Verde. Eine abenteuerliche Fahrt entlang steiler Abgründe ohne jede Absicherung. Eingehüllt in dicke Staubwolken schrauben wir uns hinauf in die Berge. Auf einem Schüttelrost würde ich auch nicht unbequemer sitzen.

Die kahlen Täler und Hänge werden bewachsener und damit lieblicher. Eine meterlange Echse starrt mich mit riesigen Augen an.
Am Horizont hüllen sich die Bergspitzen in Wolkenmäntel ein. Wir brauchen für die 35 Kilometer gute zwei Stunden. Schritt-Tempo ist Pflichtsache. Die Alternative wäre ein Achsenbruch bei den oft knöcheltiefen Schlaglöchern. Würde mich jemand bei der Ankunft einen „staubigen Bruder“ nennen, dann hätte ich keine Argumente dagegen.

Für die Anstrengung werde ich reich belohnt durch eine zauberhafte Berglandschaft, die der Schweiz wieder Konkurrenz macht. In den späten Nachmittagsstunden, wenn die Tierwelt am emsigsten ist, durchstreifen wir den Dschungel, um nach seltenen Vögeln Ausschau zu halten. Besonders Ketzal, der das Wahrzeichen von Mente Verdes ist, hat es uns angetan. Er spielt in der Indianer-Mythologie eine große Rolle. Die beklemmende Stille und die undurchdringlichen tiefgrünen Wände lassen den Dschungel wie ausgestorben erscheinen. Nur die Vögel, einmal nah und einmal fern, hoch oben in den Bäumen oder im Lianengewirr, geben Lebenszeichen.

Der ständige Überlebenskampf der vielen tausend Arten von Tieren und auch Pflanzen verläuft still, unerbittlich, grausam und hart, den Naturgesetzen folgend. Ein ewiger Reigen, bei dem der Tod Leben erhält. Ein plötzlicher Tropenregen rauscht auf das Urwalddach, aber dichte Blätterschichten verhindern, dass er bis zum Boden kommt.

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„DER TOURISMUS IST KAUM ENTWICKELT“

Unser gemütliches Hotel gleicht einem aus Holz gebauten und mit Schnitzereien reich verzierten Berggasthof bei uns. Nur der Blick über den Pazifik statt über den Tegernsee macht den Unterschied:  Palmen und Bananen statt Kiefern und Kirschen. Das Frühstück bringt eine Überraschung: ausschließlich Bio-Kost. Warum, klärt sich bald auf. In der Nähe lebt eine orthodoxe Quäker-Gemeinde, die nur reine Naturprodukte anbaut. Aber ganz Costa Rica ist sowieso Vorbild an Umweltbewusstsein. Aus manchen Flüssen kann man sogar trinken – und zwar ohne Folgen.

Das Land ist eine Ausnahme auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Es gibt keine Armee, sondern nur eine 100 Mann starke Blaskapelle. Seit 70 Jahren herrscht demokratisches Recht. Der Tourismus ist kaum entwickelt – und das bleibt hoffentlich noch recht lange so. Costa Rica soll denen vorbehalten bleiben, die auch ihre Seele mit ins Land bringen und nicht nur ihr Geld.

Auf dem Weg zum Arenas-Vulkan grüßt schon von weitem der gigantische Kegel, ohne seine Wolkenkappe zu lüften. An seinem Fuß schließt sich ein tiefblauer Süßwasser-See an. Es ist ein mühsames Gehen in dem tiefen, pulvrigen Asche-Sand und es kostet viel Schweiß. Auf einem schmalen Plateau brauche ich Bärengeduld, um auf einen Ausbruch zu warten. Doch das Glück ist mir hold. Mit einem fürchterlichen Grollen entlädt sich die aufgestaute Gewalt. Tausende von Tonnen glühenden Lava-Gesteins werden in die Luft geschleudert wie Spielbälle. Als ich absteige, schickt er mir noch einmal ein zorniges Grollen nach.

In Tabacon kehren wir in einem kleinen spanischen Lokal ein. Fröhlicher Badebetrieb herrscht in einem riesigen Swimmingpool nebenan. Das heiße Thermalwasser dazu liefert der Vulkan kostenlos. Noch liegen vier Stunden Fahrt vor uns. Die Sonne steht schon tief und zaubert zusammen mit aufsteigenden Wolkengebirgen eine Theaterkulisse in das Land. Ein kleiner, ärmlicher Friedhof, mit farbigen Holz- oder Eisenkreuzen, mahnt an die Vergänglichkeit.

Immer wieder Pferde, die scheinbar herrenlos die Weite durchziehen. Später erfahre ich, dass es teilweise wirklich Wildpferde sind, die sich jeder einfangen kann – wenn er kann.

MARLBORO-TYPEN AUF DER SUCHE NACH KOSMETIKPULVER

Mit der Ebene wechselt auch der Charakter der Landschaft und die Bauweise der Häuser. Das Hotel Las Espuelas gleicht einer spanischen Hazienda, die mitten in einem Park von Palmen, Feigen- und Mangobäumen steht. Beim Abendessen lerne ich einen Geologen kennen, der an einer Bohrstelle arbeitet. Er sucht aber nicht nach Öl, sondern nach Kieselgur, einem federleichten weißen Gestein, das als Grundstoff für Kosmetik-Puder, spezielle Filter und viele anderer Produkten dient. Er lädt mich ein, seinen Arbeitsplatz zu besuchen. Von der glatten Asphaltstraße geht es über einen groben Schotterweg, der in einen Geröllpfad mündet; dann wühlt sich unser Jeep nur noch Meter für Meter durch Sand, Felsgestein und  Gestrüpp. Als Laie frage ich mich, wie man mitten im tiefsten Urwald ein spezielles Gestein findet. Niemand kann es mir sagen und ich muss alle Eide darauf schwören, dass ich niemals zu irgend jemandem über diese Stelle spreche.

Der Bautrupp ist dabei, das Bohrgestänge zu verlegen. Harte Männer mit braun gegerbten Gesichtern und kräftigen Fäusten. So richtige Marlboro-Typen, die auch unter härtesten Bedingungen arbeiten können. Am Vortag haben sie eine tödlich giftige Mica-Baumschlange von 2,5 Metern Länge gefangen.

In der Nähe liegt der Rio Arigado, ein quicklebendiger Bergfluss mit glasklarem, schimmerndem, aufschäumendem Wasser. An einer Stelle gibt er sich zahm und lädt zu einem erfrischenden Bad. Ringsum dichter Urwald, aus dem eine Brüllaffen-Familie ihr dröhnendes Geschrei, das dem Trompeten einer ganzen Herde Elefanten gleicht, hören läßt. Es herrscht unerträgliche Gluthitze.

Wir schwingen uns schon früh in den Sattel. Santiago, mit einer langen Machete an der Seite, führt die kleine Reiterschar an. Stundenlang geht es durch die jetzt in der Trockenzeit braun gefärbte Savanne. Die Sonne brennt auch heute erbarmungslos vom Himmel. Die Trageriemen des Rucksacks scheuern die Schultern wund.

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ICH BIN DER SCHRECKEN DES SCHWARZEN PANTHERS!

Endlich kühler, schattiger Urwald. Wie mit tausend Händen halten sich Baumriesen am Boden fest. Die bis zu 30 Meter hohen Baumkronen bilden eine grüne Dom-Kuppel. Am Rio Bianco finden wir wieder zwischen steilen, dicht bewaldeten Felswänden eine Stelle, an der sich der Fluss eine Verschnaufpause gönnt. Ein kleiner Wasserfall quillt wie Silber in ein dunkles Felsbecken, in dem wir schwimmen, aber aus dem wir auch trinke können. Als ich mir die Jeans wieder anziehe und aufblicke, steht 30 Meter vor mir ein schwarzer Panther mit schimmerndem Fell. Sein Erstaunen ist scheinbar genauso groß wie meines, denn erschreckt macht er sich davon.

Mittagessen am rauschenden Rio Colorado, tief im Regenwald. Am offenen Grillfeuer werden saftige Steaks gebraten. Dazu gibt es Maisfladen und Obst, was nach dem langen Ritt geradezu ein Festmahl ist. Den großen Durst löschen wir mit frischen Fruchtsäften und Flußwasser. Gestärkt geht es dann per Fuß weiter zu einer Vulkan-Landschaft. Santiago warnt uns davor, einen eigenen Weg zu gehen. Überall lauert Gefahr in brodelnden Lava-Tümpeln, in Fumerolen und Geysiren. Man sagt, der Vulkan atmet durch diese hunderte von Erdöffnungen. Könnte er das nicht, würde sich die ganze Gewalt mit einem Schlag entfalten, und das hätte verheerende Folgen.

Santiago macht an einer spärlich dampfenden Fumerole ein kleines Strohfeuer. Wie durch ein Wunder schießen plötzlich in der ganzen Umgebung riesige Dampfwolken aus der Erde. Ein unerklärliches Phänomen. Es geht weiter durch kühle Bäche und über natürliche Baumbrücken. Das Auge findet keinen Halt bei der Vielzahl der Bäume, Sträucher und Blumen. Der „nackte Indianer“ fällt mir auf. Nicht eine FKK-Rothaut, sondern ein völlig kahler, rötlicher Baum.

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AUF DEM PFERD DURCH DEN URWALD

Zurück auf Pferderücken geht es quer durch den Urwald. Die Pferde, übrigens ohne Hufeisen, erweisen sich als wahre Kletterartisten. Umgestürzte Baumriesen, schmalste Zick-Zack-Pfade und steilste Abhänge mit Felsbrocken bepflastert, nehmen sie mit Bravour. Hauptsache, man selbst bleibt dabei im Sattel und zerschlägt sich nicht Kopf, Schulter oder Beine.

Nach diesem anstrengenden Tag bin ich froh, endlich die Lodge zu erreichen, abgeschlossen von der Welt, nicht einmal ein Telefon gibt es, eingebettet in eine unvergleichliche Landschaft, umgeben von riesigen Weiden, auf denen sich Dutzende von Pferden uneingeschränkt austoben können. Eine riesige Dogge begrüßt uns schon von weitem. Ein großschnäbeliger Tukan krächzt von der Küchentüre.

Es ist wie bei Muttern. Alle sitzen gemeinsam am Tisch und die Hausfrau überbietet sich beim Abendessen in Menge und Köstlichkeit. Die Gespräche drehen sich um die Erlebnisse des Tages, bis man sich in die mehrstöckigen Betten verkriecht. Durch die offenen Fenster kommen fremde Geräusche der ewig wachen Natur. Die Sternenpracht verspricht einen weiteren strahlenden Tag im Garten Eden.

Mich aber quälen heftige Magenkrämpfe, die einer Vertreibung aus dem Paradies gleichkommen. Hoffentlich wird daraus nichts Ernsthaftes, denn ärztliche Hilfe ist kaum zu erwarten. Nach mehreren Stunden dämmere ich hinüber in einen „Heilschlaf“ und Gott sei Dank dafür, der nächste Morgen findet mich wieder quicklebendig. Ein kräftiges Frühstück mit Ananas, Papayas, Rühreiern, Bohnen mit Reis, aber dazu einen Gesundheits-Tee, helfen weiter.

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GRENZENLOSE WELT UND HEISSE QUELLEN

Um 6 Uhr sitze ich wieder im Sattel auf dem Weg zu heißen Quellen, mitten im Busch. Was für eine Welt, in der Sonne, Mond und Sterne den Tag bestimmen und der Hahn noch zuständig ist für den Weckdienst. Mit diesem Gefühl in der Brust gebe ich meinem Pferd die Zügel frei. Es soll spüren, dass die Welt hier grenzenlos ist.

Eingebettet in einem kleinen Tal eine Quelle mit 45 Grad, die auf der Haut prickelnde Blasen bildet. Thermalkur à la Natur. Danach Umsteigen in einen kalten Bach, der direkt daneben fließt und das Wechselbad ist perfekt.

Auf dem Weg zurück treiben Savanneros, wie die Cowboys in Costa Rica heißen, riesige Pferde und Rinderherden zu den Weideplätzen. Wirbeln ihre Lassos, um ausgebrochene Tiere wieder einzufangen.

Jetzt hänge ich das Halfter an die Wand und sage dem Pferderücken ade. Aus vier Sachen bin ich in diesen Tagen kaum herausgekommen: aus meinen Jeans, den Reitstiefeln und Staub und Schweiß.  Aber ebenso wenig aus Natur pur, dem Gefühl, ein Teil von ihr selbst zu sein, unvergesslichen Erlebnissen und grenzenlosen Abenteuern. Costa Rica hat bisher sein Versprechen wahr gemacht.

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DIE PAZIFIK-KÜSTE BEI TAMARINDO BAY

Über Filadelfia und Santa Cruz erreichen wir, wenn auch über eine Schotterstraße, die phantastische Pazifik-Küste bei Tamarindo-Bay. Gleich leicht gespannten Bogen reihen sich die herrlichen Natursandstrände auf. Palmenbewachsene Buchten mit blühendem Hinterland. Das Bungalow-Hotel ist hingekuschelt ans Meer, so dass die Wellen bei Flut fast ins Zimmer kommen. Das Rauschen der Wellen lässt alle übrigen Geräusche verstummen.

Zu früher Stunde will ich schnell in den Swimmingpool springen, dort haben sich jedoch zu meiner großen Überraschung schon über zwei Dutzend andere Gäste eingefunden. Handgroße, rotbeinige Leichtfuß-Krebse, hier sinnigerweise Grabsusgrabsus genannt, sind bei ihrem nächtlichen Spaziergang in die falsche Richtung gelaufen. Der Bademeister sagte mir, dass die ulkigen Kerle jeden Tag diesen Fehler machen.

Pelikane fliegen dicht über der Brandung entlang, bevor sie sich steil ins Meer stürzen, um mit vollem Kropf wieder aufzutauchen. Im Park wimmelt es von langschwänzigen Leguanen. Mit ihren drachenartig gezackten Rücken sehen sie zwar böse und unheimlich aus, sind aber ebenso harmlos und friedlich. Während ich nichts ahnend einen Drink schlürfe, fällt mir so ein Ungetüm, zusammen mit einem abgebrochenen Ast, direkt vor die Füße. Etwas benommen schleicht es sich beschämt davon.

In dieser Bay leben auch die größten Schildkröten der Welt. Manche Exemplare werden zwei Meter groß und wiegen 14 Zentner!

Jetzt brauche ich die Reitstiefel doch noch einmal. Es gibt nichts Schöneres und Befreierendes, als im gestreckten Galopp über einen breiten, strahlenden Strand zu fliegen oder aber durch die seichte Dünung, wenn es um Ross und Reiter nur so gischtet. Wahrlich, es hat sich gelohnt, die Cowboystiefel noch einmal herauszukramen.

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ERDBEBEN, WELLENMUSIK UND PELIKANE

Erst dachte ich, es käme vom Reiten, als mir im Zimmer der Boden unter den Füßen schwankt. Aber weit gefehlt – es ist ein leichtes Erdbeben. Vor drei Wochen gab es eines mit der Stärke 6,3, dass erhebliche Schäden bei Menschen und Gebäuden angerichtet hat.

Der unendliche Pazifik nimmt die untergehende Sonnenscheibe in seine Arme und verpackt sie in ein weiches, rosarotes Wolkenbett. Ebbe hat die Flut abgelöst. Das Meer gibt den weiten, menschenleeren Strand frei. Unter meinen nackten Füßen spüre ich das versickernde Wasser. Scheue Krabben fliehen in ihre kleinen Höhlen. Ein Mosaik angeschwemmter kalkweißer Muscheln schmückt den Sand. Der graubraune Panzer einer Riesenschildkröte, die ihr Leben ausgehaucht hat, stimmt wehmütig.

Ein langer Spaziergang durch den frühen Abend, der übergangslos ohne Dämmerung seinen Anspruch erhebt. Ich komme ins Träumen und Fantasieren. Höre Melodien aus Wellen und dem Wind, der sanft und warm streichelt. Ewig silbern umschäumt hocken Felsriffe wie Wächter in der Brandung. Pelikane ziehen nach Hause wie meine Seele, die Zeit und Raum überspringt.

KEIN WUNDER: DIE UNFALLRATE

Auf dem Rückweg nach San José setzen wir mit einer Fähre über den Fluss. Schwer beladene Lastwagen mit Zuckerrohr, Ananas oder Bananen donnern an uns vorbei. Bei diesen Überholmanövern ist es kein Wunder, wenn die Unfallrate hier die höchste in Lateinamerika ist. Jetzt weiß ich auch, warum sich mein Fahrer, wenn er ans Steuer geht, jedesmal bekreuzigt. Gelegentlich liegen kleine Häufchen aus Zweigen auf der Straße. Statt einem Warndreieick kündigen sie liegengebliebene Fahrzeuge oder Unfälle an. Die kühle Brise von San José, das 1200 Meter hoch liegt, tut gut nach dem ständigen Dampfbad am Pazifik.

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PER LUFTTAXI IN DIE KARIBIK

Jetzt bleiben mir noch 48 Stunden bis zum Rückflug und die Chance, die Karibik-Küste zu besuchen. Dafür kommt allerdings nur ein „Lufttaxi“ in Frage. Mit einer viersitzigen Maschine geht es Richtung Totuguera in der Nähe von Nicaragua. Während wir die Wolken stürmen, grüßen die majestätischen Berge von Costa Rica und die sagenumwobenen Vulkane Poas und Irazu. Ein Panoramablick über weite Kaffee-Felder und Bananen-Plantagen, postkartenfarbige Dörfer, Flüsse, die in Kaskaden zu Tal schießen und unerforschte Dschungel.

Unsanfte Landung auf einem Grasstreifen zwischen Palmenreihen. Lediglich eine winzige Fahne zeigt an – hier ist es. Übersetzen über den Kanal zur Totuguera Lodge. Freundlicher Empfang mit reichhaltigem Frühstück. Erster Erfahrungsaustausch mit Gästen, die schon länger hier sind. Aufbruch zu einer ersten Dschungelfahrt in einem flachen Boot mit Außenbordmotor. José – klein, hager und mit krummen Beinen – begleitet mich. Er ist ein erfahrener Dschungelkenner.

Der Kanal, besser gesagt das Kanalsystem, erstreckt sich über 150 km bis nach Limone entlang der Küste. Früher hat es zum Abtransport der Bananenernte gedient. Heute bietet es ein spannendes Abenteuer für den Naturfreund, der Augen und Ohren dafür hat. Ein Venedig im Dschungel, ohne pompöse Paläste und verträumt romantische Gondeln. Dafür Krokodile, Tapire, Jaguare, Affen, Schlangen, Ozelots, Papageien und viele andere Tiere. Eine Flora, die unbeschreiblich ist in ihrer Vielfalt. Das Auge badet, die Stimme verstummt, weil einem die Worte fehlen. Hier ist die Luft reiner als irgendwo anders auf der Welt und lässt befreiend aufatmen.

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DURCH DEN URWALD ZUM ZERRO TOTUGUERA

Unser Boot schiebt sich immer dichter in den undurchdringlichen Dschungel. Längst ist der Motor abgeschaltet und Jose hat das Paddel zur Hand genommen. Die Nebenarme des Kanais werden immer schmäler, bis wir gerade noch hindurchschlüpfen können — ein Gefühl, als würde die grüne Hölle über uns zusammenschlagen. Wir hören Vogel- und Tierstimmen an allen Ecken und Enden. Es kann aber auch wie eine Symphonie von Geräuschen sein, für den, der es versteht, zu erfühlen.

Plötzlich hängt etwas langes, leuchtend Rotes vom Baum – eine äußerst giftige Korallenschlange, wie José erklärt. Am Vorabend hat er eine drei Meter lange und armdicke Boa vorgefunden, die gerade ein Huhn stehlen wollte. Es ist ihm trotzdem schwergefallen, sie zu töten.

Am Nachmittag Aufstieg zum Zerro Totuguera. Es geht durch dichten Urwald, der mit seiner schwülen Hitze die Kleider am Leib kleben lässt. Dann aber beginnt erst die richtige Mühsal. Der Weg auf steile, glitschige Hänge, über umgestürzte Bäume, überragende Sträucher und Baumwurzel-Gewirr, ist eine Schwitzkur. Mir rutschen die Finger ab, wenn ich den Aufnahmeknopf der Video-Kamera drücken will. Aber die Anstrengung hat ihren Lohn: Ein faszinierender Ausblick über das Dschungeldach, den von dichten Mangroven-Wäldern umklammerten Kanal und gleich daneben das mit weißer Dünung gezeichnete Band der Karibik.

Nach dem Abendessen ist eine Nachtfahrt durch die Wildnis angesagt. Im Schutz der Dunkelheit, mit zwei starken Scheinwerfern am Boot, bietet das Leben der grünen Wand des Dschungels eine völlig neue Perspektive. Tiere erschrecken nicht, sondern werden nur für einen Augenblick geblendet. Das gibt dann Gelegenheit, sie in Ruhe zu beobachten. Dieses hautnahe Erlebnis mit Natur und Tier hinterlässt nicht nur ein Gefühl für die göttliche allumfassende Schöpfung, sondern auch die Einsicht, dass diese Natur erhalten bleiben muss, damit wir überleben können.

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Seit seiner Kindheit ist unser Autor (geboren 1927) vom Reisen fasziniert. Er malte sich aus, wohin die Wolken wohl wandern und wünschte sich, er könnte mit ihnen davonsegeln. Seine grenzenlose Sehnsucht war, Kontinente zu überspringen, die Erde zu umkreisen und die Vielfalt der Länder zu erleben. Eines Tages, nach all den Wirren des Zweiten Weltkriegs, war es endlich soweit. Ein glücklicher Zufall gab ihm die Möglichkeit, in
40 Tagen, kurz bevor das Zeitalter des Jetfliegens begann, noch im niedrig fliegenden Propellerflugzeug und dadurch mit greifbar nahen Eindrücken, die Erdkugel über 52.000 Kilometer zu umrunden. Damit öffnete sich für ihn das Tor in die große weite Welt. Seine unvergesslichen Erlebnisse, beschreibt er in seinen Reiseberichten, die uns in eine verlorene Welt führen. Diese an der einen oder anderen Stelle wiederzuentdecken wäre sinnvoll, damit der Traum von einer besseren Welt, mit all ihren vielfältigen Wundern
und Menschen, wieder Wirklichkeit werden kann.

ADIÓS AMIGOS!

Am nächsten Morgen steht meine kleine „Arbeitsbiene“ wieder bereit. Sie trägt mich sicher durch ein Tropengewitter mit gewaltigen Wolkenbergen und Regenschauern nach San José zurück. Am Hotelempfang frage ich, wann es Frühstück gibt, weil ich zeitig abgeholt werde. „Wir servieren die ganze Nacht. Der Einfachheit halber empfehlen wir Ihnen, schon vor dem Zubettgehen zu frühstücken.“ Die Ticos sind nicht nur sehr freundlich und hilfsbereit, sondern haben viel Sinn für Humor. Sie sind aber auch stolz auf ihr Land und es macht ihnen Freude, einem Fremden seine Schönheiten zu zeigen.

Auf dem Weg zum Flughafen, während mich der Bus hin und her schaukelt, spüre ich plötzlich den wirklichen Unterschied zwischen Costa Rica und der Schweiz. Hier sind die Löcher in der Straße und in der Schweiz im …

Adiós amigos – Gruezi mitanand!

Fotos: iStock, Unsplash / Luis Diego Aguilar, Max Bender, Ivana Cajina, Ovidiu Creanga, Etienne Delorieux, Elianna Gill, Maria Kuzoma, Fabian Marin Zuniga