Kanada

AUF DER SUCHE NACH EINER VERLORENEN WELT, TEIL 5: KANADA

erschienen im Purpose Magazin

Unser ältester Autor flog 1979 nach Vancouver und unternahm eine Bootsfahrt in Kanadas unberührte Natur. Hier und heute lädt er Sie dazu ein, diese Zeit wiederzuentdecken.

Hier erfahren Sie mehr über:

TEXT: Wolfgang Eckstein

purpose eckstein wolfgang autor oa 375x0 c default

Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv. www.wolfgangeckstein.eu

KANADA – zweitgrößtes Land der Erde mit nur 23 Millionen Einwohnern. Pro Quadratkilometer ein einziger Mensch. In der Sardinenbüchse Bundesrepublik Deutschland pro Quadratkilometer 254 bedauernswerte Geschöpfe. Wie heißt es so schön in dem bekannten Lied: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.“

Kurze Tage einer hektischen Reisevorbereitung und ab geht’s – dem Abenteuer Kanada entgegen. Es ist sonderbar: Man dreht den Schlüssel vor einer großen Reise mit einem anderen Gefühl herum, als wenn man nur für einige Stunden ins Büro geht. Unwillkürlich noch ein Blick in alle Räume, und man verabschiedet sich unbewusst und stumm von so vielen Dingen, die einem vertraut und ans Herz gewachsen sind. Hoffnungsvoll denkt man, es wird schon alles gut gehen, und glücklich heimkommen kann nur der, der wegfährt.

Das Frühstück noch in München und das Mittagessen bereits 10.000 Kilometer entfernt am Swimmingpool des traumhaft schönen Bayshore-Hotels in Vancouver.  Dazwischen liegen 10 Stunden Flug mit Lesen, Schlafen, Essen und Träumen von den unendlichen Weiten Kanadas, mit seinen einer Million Seen und den schneebedeckten Bergen. Ein Flug, immer mit dem Lauf der Sonne, um ihr acht Stunden abzuringen.

VANCOUVER: VON DER SÄGEWERKSSIEDLUNG ZUR METROPOLE

Vancouver – eine kaum 150 Jahre junge, buntschillernde Stadt am Pazifik. Sie entwickelte sich, in wenigen Jahrzehnten, von einer kleinen Sägewerkssiedlung zu einer Metropole.  Wie alle Hafenstädte, weltoffen, international, liberal, unbeschwert und mit dem Flair der großen weiten Welt überzogen. Eine grüne Stadt mit herrlichen Parks, mit vielen Baumalleen, unzähligen Sehenswürdigkeiten und Herden von schnaufenden Joggern. Viele Nationen haben dieser Stadt ihren Stempel aufgedrückt.

Der Besucherstrom aus aller Welt ergießt sich ständig in diese Perle am Pazifik und gibt ihr einen eigenen Touch. Das Klima ist mild und erfrischend. Die Straßen auch im Winter frostfrei. Trotzdem gibt es nur einige Kilometer weiter, in Sichtweite, ein ideales Skigebiet. Alles in allem ein Platz, an dem man gerne leben möchte – gäbe es nicht München!

Aus den Fenstern des Hotels könnte ich direkt ins Meer springen. Der Blick ist unbeschreiblich. Aufgereiht wie Perlen: die schneeweißen Yachten und schnittigen Motorboote.

Als der erste fahle Nebel über die Bucht zieht und die letzten Sonnenstrahlen wie ausgestreckte Finger die Nacht empfangen, gehen meine Gedanken noch einmal zurück in das ferne Deutschland. Die ersten verschlafenen Frühaufsteher sind dort sicher bereits unterwegs zur Arbeit. In den ohnmachtsähnlichen Schlaf nach dem langen, anstrengenden Flug mischt sich die Freude und eine große Neugierde auf das große Abenteuer Kanada.

2 Wal thomas lipke p5nDU d3Y0s unsplash 1320x0 c default
FRÜHSTÜCK MIT HERINGSMÖWEN UND ALLROUND-SERVICE

Ein strahlender, unbefleckter Sonnentag. Zehn abwechslungsreiche Fernsehprogramme bereits zum Frühstück. Zwischen Ham and Eggs, Cornflakes und Orangensaft, werde ich über die scheinbar „wichtigsten“ Ereignisse voll informiert. Eine schwarzweiße Katze ist entlaufen – ein Schäferhund wurde gefunden – jemand hat seinen Vogel entfliegen lassen – was reinigt das Haus, selbst wenn man verreist ist – wie wird das Haar weich und locker wie die Wellen auf Hawaii – was muss ein Mann für die Empfängnisverhütung tun – ein spannender Krimi und der Wetterbericht, alles zum Frühstück. In einer Ecke des Bildschirms das ganze Programm in der Taubstummensprache.

Auf der Balkonbrüstung warten bereits riesige Heringsmöwen auf die Frühstücksreste, die sie geschickt aus der Luft aufschnappen.

Beim Hinausgehen noch schnell zur „Entlastung“ in die WC-Männerstation. Welche Überraschung: Das Morgenblatt mit den neuesten Nachrichten, direkt in Blickhöhe, wo man im Stehen „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann“. Das ist ein super Allround-Service! Manche vergessen dabei, den Reißverschluss an der Hose vor Neugierde zu schließen, lesen aber weiter, obwohl sie ihre „Entsorgung“ längst beendet haben. Ein komischer Anblick.

ALLE VIER MANN AN BORD UND ANKER LICHTEN!

Für den Trip ist das blitzblank gescheuerte Boot bereits klargemacht. An Bord ist nur der Kapitän, sein Techniker und wir zwei Landratten. Mein Freund ist begeisterter Hobbykoch und bietet beste Gewähr für exzellente „Menüs“. Die Freundschaft sollte auch hier durch den Magen gehen.

Unsere feste Absicht ist es, die unberührte Natur- und ungestörte Tierwelt Kanadas mit innerer, auch äußerlicher Ruhe und nicht mit einem lärmenden Touristenstrom zu erleben. Nicht auf dem Land-, sondern auf dem Wasserweg, um der Natur und ihrem vielseitigen Geschehen näher als aus der Vogelperspektive zu sein. Sie zu sehen, zu hören und zu fühlen – als wäre man ein Teil von ihr.

Dann heißt es: „Anker lichten!

Der drahtige Kapitän, ein wettergegerbter, erfahrener Seebär, dem man sich gerne anvertraut, mustert uns unbedarfte Passagiere noch recht misstrauisch mit abwägenden Blicken. Für ihn ist diese Bootsfahrt sicher Alltag und er wird deshalb ganz andere Interessen als wir haben, aber wir werden seine reichen Erfahrungen mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen.

Schiffe führen grundsätzlich weibliche Namen. Unser Boot heißt entgegen dieser allgemeinen Regel „Fisherman“. Es ist eines der schönsten Exemplare, die weit und breit herumschwimmen.

3 Vancouver mado el khouly MA8YoAoKpfY unsplash 800x0 c default
WIE SAGT MAN DOCH SO SCHÖN: „NUR AUF DEM MEER IST DER MANN NOCH FREI”. ALSO: „NORTHWARDS, HOH!”

Langsam und sanft gleitet unser schwimmendes Domizil aus dem Hafen. Nimmt Fahrt auf, während die Stadt am Horizont schweigend versinkt. Die vereinzelten, versteckten Ansiedlungen an einsamen, stillen Buchten werden immer seltener. Wir stecken die Nasen in den frischen Fahrtwind, genießen Sonne und Brise.

Die Kapitäne vorbeiziehender Schiffe grüßen freundlich und wünschen gute Fahrt. So geht es für viele Stunden.

Vorbei an unendlich erscheinenden Wäldern, die bis an das Meer heranwachsen. Dieser Holzreichtum schwimmt in Form von hunderten, viele Meter langen Flößen ständig an uns vorbei. Sie hinterlassen gefährliche „Abfälle“. Es sind einzeln herumschwimmende Baumstämme, die das Boot, aber besonders die Schiffsschraube, zerschlagen können. Sehr heimtückisch, weil diese Stämme senkrecht und kaum sichtbar daherkommen. Der Kapitän muss höllisch aufpassen und ständig das Radargerät beobachten. Für das einträgliche Einsammeln dieser „Alleingänger“ braucht man eine staatliche Lizenz – doch es lohnt sich. Immerhin bringt ein solcher Herumtreiber mittlerer Größe umgerechnet ca. DM 100.-

LANGE LEBENSTRÄUME, KURZE NÄCHTE – UND KILLERWALE!

Am Ufer liegt ein verfallenes Boot – die „Story Behind“. Der Lebenstraum eines Mannes war es, ein eigenes Boot zu besitzen. Er baute daran 25 Jahre und starb mit 75 Jahren, ohne das Boot je fertig zu stellen. Aber so hatte er immerhin einen langen, wunderschönen Traum gehabt.

Mächtige Seeadler heben sich scharf gegen den Himmel ab und schweben mit langem Flügelschlag majestätisch davon, wenn wir ihr Jagdrevier wieder verlassen und ihnen die Beute überlassen.

Eine pummelige Robbenfamilie hat sich auf einer kahlen Kiesbank zu einer kurzen Rast niedergelassen. Die putzigen Kleinen tummeln sich um die dicke, träge, aber wachsame Mutter.

Das monotone, dumpfe Geräusch der 700 PS-Motoren nimmt man nach einiger Zeit kaum noch wahr. Es gehört dazu, wie die hoch aufschäumende Bugwelle und die kochende Heckwelle, die wie ein breites Band das Meer teilt.

Plötzlich tauchen riesige Schwanzflossen auf. Fünf Killerwale umkreisen das Boot beängstigend nahe. Ihr Name klingt gefährlicher als sie in Wirklichkeit sind, nämlich zehn Meter große, aber für den Menschen nur gelegentlich nicht ganz harmlose Meeresbewohner. Noch eine ganze Zeit sieht man die hohen Wasserfontänen, die sie beim Ausatmen in die Luft blasen.

Die Aufregung an Bord hat sich kaum gelegt, da treibt eine Delfinschule ihre munteren Spiele. Begleitet unseren Weg einige Zeit und verdrückt sich dann spurlos. Wehe, wenn diese Delfine auf ihre Todfeinde, die Wale, treffen. Dann färbt sich das Meer rot vom tödlichen Kampf dieser Giganten.

Eine einsame Bucht bietet Schutz für die hereinbrechende Nacht. Das dort verankerte Floß scheint eine günstige Anlegestelle zu sein. Noch ein erfrischendes Bad, bevor die Sonne „Gute Nacht“ sagt und leichter Wellenschlag uns in den Schlaf wiegt. Dann breitet sich Schweigen aus über das Land.

Kormorane, die von erfolgreicher Jagd zurückkehren, streichen tief und lautlos über das dunkle Wasser.

Die Nacht wird kurz. In der Morgendämmerung erscheinen mit knatternden Motoren Schlepper, die bedenkenlos unsere Anlegestelle aufs Meer hinausziehen und uns zur Flucht zwingen. Auf der weiteren Fahrt wechseln verträumte Inseln mit romantischen Buchten. Dicht bewachsene Berge, mit tief eingeschnittenen Tälern. Über allem unendliche Ruhe und eine ungestörte, friedliche Harmonie der Natur.

Design ohne Titel 8
SCHEUE NERZE UND US-BOMBER, DIE NACHE RUSSLAND FLIEGEN

Damit wir aber die grausame Wirklichkeit nicht vergessen: Drei Mal täglich zeichnen amerikanische B 53-Bomber auf ihrem Flug nach dem nahen gelegenen Russland, lange Kondensstreifen in den Himmel. Ihre Atombomben sollen für die Stunde X, die hoffentlich nie kommt, ständig bereit sein.

Am Ufer huschen vier flinke, scheue, braune Nerze dahin, die sich hier sicher fühlen. Auf einem Balken sitzend, treibt eine Schar Möwen vorbei, aufgebaut wie ein Kirchenchor im Sonntagsstaat.

„Petri Heil“ zum ersten Lachsfang. Mit den Beibooten schleppen wir die Heringsköder stundenlang erwartungsvoll hinter uns her. Ohne großen Erfolg. Nur ein paar Rockfische, die besser schmecken als sie scheußlich aussehen, ergänzen das Abendessen.

Lachmöwen schicken uns glücklosen Fischern ihr klirrendes Gekicher hinterher – ätsch! Das ärgert uns zwar, aber heizt den Ehrgeiz noch an.

Wir machen es uns auf dem Boot gemütlich und genießen schweigend die abendliche Stunde. Nirgends gibt es einen so kristallklaren, funkelnden Sternenhimmel wie über Wüsten und den hier riesigen Wäldern, von denen uns nur wenige Meter trennen und die unser Boot schützend umschließen. Ein Sternenmeer, eingebettet in das Tiefblau der Nacht. Die Milchstraße überstrahlt wie ein weißes Band den Lichterdom.

Sternschnuppen schießen schnell verglühend vorbei. Satelliten ziehen ihre Bahn, um nach einer schnellen Reise um die Erdkugel wieder zurückzukehren. Himmel und Erde fließen ineinander, verbinden Wirklichkeit und Träume mit grenzenloser Weite. Das göttliche Schweigen mit den Rätseln des Unendlichen. Eine Oase glückseliger Einsamkeit. Kein menschliches Wesen im Umkreis von hunderten von Kilometern. Man kehrt zu sich selbst zurück und besinnt sich auf Werte, die man längst vergessen glaubte.

Wölfe, die ihre nächtliche Runde machen, bringen mit heiserem Heulen ihr schauererregendes Abendlied.

STROMSCHNELLEN UND TIEFE WASSERTÄLER

Immer weiter geht es nach Norden. Wir fahren in einem kilometerlangen, schmalen Fjord, der seine eigenen Tücken hat. Ebbe und Flut lassen das Wasser zwei Mal am Tag bis zu sieben Meter ansteigen. Die ankommenden haushohen Flutwellen des Pazifiks, pressen mit Urgewalten das Wasser in die engen Einfahrten der Fjorde. Dadurch entstehen äußerst gefährliche Stromschnellen, die mit 45 km/h dahinschießen und einen brodelnden Hexenkessel erzeugen. Ein Boot würde hier unweigerlich gegen die Felsen geschleudert und zertrümmert.

Gewaltige Wirbel von fünfzehn Meter Tiefe lassen nicht die geringste Chance. Spurlos verschwindet ein riesiger Baumstamm. Nach Minuten schießt er wie eine Unterwasserrakete wieder hoch.

Von Ufer zu Ufer bildet sich in der Mitte der Strömung ein außergewöhnlich tiefes Wassertal.  So gewaltig ist der Druck der Flut in diesen schmalen, kilometerlangen Fjorden. Bei Ebbe passiert das Gleiche umgekehrt. Um all diese vielseitigen Gefahren zu vermeiden, hat der Kapitän ein sogenanntes Tidebook, in dem präzise ausgedruckt ist, zu welchen Stunden und Tagen Ebbe und Flut herrschen. Dadurch kann er feststellen, zu welcher Zeit er Gefahrenstellen ungefährdet passieren kann.  Ein Irrtum durch Fahrlässigkeit kann tödlich sein.

6 Eckstein Kanada 2 1320x0 c default
ZWISCHEN HOLZFÄLLERN UND FISCHOTTERFAMILIEN

In einem einfachen Camp für Holzfäller wird angelegt. Was diese zähen, wettergegerbten, muskelstrotzenden Männer hier leisten, ist wirklich härteste Arbeit unter extremen Bedingungen. Fünfzehn Tage wird durchgeschafft. Anschließend sechs Tage bezahlter Urlaub.

Mit bewundernswertem Optimismus werden sie mit der mühevollen, gefährlichen Arbeit und Einsamkeit fertig. Geschlagen wird das wertvolle Zedernholz, von dem ein einziger Stamm etwa DM 800.- kostet. Ein sehr strenges Gesetz schreibt vor, dass für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt werden muss.

7 Eckstein Kanada 3 1320x0 c default

In einem malerischen Süßwassersee gehen achtzehn Forellen an die Angel. Der Weg zum See ist allerdings gar nicht so leicht. Er führt über Jahrhunderte alte, schwimmende Baumstämme. Ein Fehltritt, und man ist zwischen diesen Baumriesen eingeklemmt, bis man wie sie Moos ansetzt.

Jetzt sind uns auch die Lachse wohlgesonnen. Nach oft heißem Zweikampf kann sich die Beute sehen lassen. Das hebt den Fischerstolz und verdient ein „Petri Dank“. Jetzt können wir uns sogar jede Menge Kaviar leisten.

Was das Meer so an Köstlichkeiten bietet, zeigt unser Abendmenü:
Kaviartoast – Krebscocktail –  geräucherte Forelle à la Pit – Lachs vom Grill à la Flori – Eisbecher – Espresso Pazifik!

Eine quicklebendige Fischotterfamilie fühlt sich in unserer Umgebung sichtbar wohl. Jeden Tag bietet sie ein abendfüllendes Programm, mit Turnen, Ringkampf, Wetttauchen und derlei Späßen. Immer mit entsprechendem, fast menschlich klingendem Kauderwelsch verbunden. Bei Einbruch der Dunkelheit geht es watschelnd und ratschend zurück zum Eigenheim, Glück allein.
Die unartigen Kinder balgen sich immer noch weiter, bis sie von der ärgerlichen Mutter am Otterkragen gepackt werden. Während wir fischen, schwimmt doch so ein frecher Otterkerl mit einem riesigen Lachs im Maul stolz an uns vorbei – so wirds gemacht, Jungs!

LACHSE UND LACHSRÄUBER AUF WANDERSCHAFT

Es ist Laichzeit der Lachse. Zu Tausenden ziehen sie die Flüsse hinauf, um,  jetzt noch springlebendig, nach dem Laichen zu sterben. Niemand hat je die Leichen der Lachse gesehen. Es heißt, sie lösen sich in Nichts auf. Ein Phänomen der Natur, wie das Lachsleben selbst.

Es ist die große Zeit der Lachsräuber. An der engsten Meeresstelle, wo alle Lachse hindurchmüssen, lauern bereits die schlauen Wale, um sie in Mengen abzuräumen. Die Bären sind noch raffinierter.  Sie postieren sich gleich an der Laichstelle und holen sich die fettesten Lachse mit einem Tatzenschlag aus dem flachen Wasser. Dabei lassen sie sich durch unsere Nähe nicht stören. Dazu gesellen sich noch die Fischotter und Robben. Ein Lachsleben ist wirklich kein laxes Leben!

Am Endpunkt dieser abwechslungsreichen Reise angelangt, bietet sich Kanada noch einmal in seiner ganzen malerischen Pracht. Die unruhige Welt scheint soweit entrückt und das schweigende Paradies so nahe. Ein Gefühl innerer Freiheit ist in mir. Das Auge ertrinkt im Zauber der Landschaft. Das Ohr ist erfüllt von den Stimmen der Natur. Was will der Mensch noch mehr, als Danke zu sagen für all das in diesen Tagen so unbeschwert Erlebte.

Damit kann ich meinem Mosaik des Lebens einen farbig glänzenden Stein hinzufügen. Aber die Reise ist noch nicht zu Ende. Es soll noch der Urwald erkundet werden!

8 Wald tim foster jN46g5t2wk unsplash 1320x0 c default
DER URWALD: EINE GRÜNE WAND

Ein mehrmaliger, kühner Versuch, auch nur wenige Meter in diesen ur-ur-uralten Wald einzudringen, bleibt ein sinnloses Unterfangen. Undurchdringliches Buschwerk, umgestürzte Bäume, bemooste Felsen versperren den Weg wie eine Mauer.

Schweißgebadet und von Moskitos zerstochen geben wir entmutigt auf.

Eine ängstlich quakende Ente mit zehn winzigen Küken nimmt Reißaus vor dem Boot. Ängstlich klettern die Kleinen allesamt auf den schützenden Rücken der Mutter. Schwerbeladen paddelt das Entenmutterschiff mühsam davon.

Über Nacht ausgelegte Krebskörbe waren eine gute Idee! So kommen wir zu jeder Menge pikanter Krebscocktails.  Die Scheren dieser vielbeinigen Gesellen sind nicht ungefährlich. Mit einem Zwack werden aus einem Bleistift zwei. Die großen Königskrebse machen das gleiche mit einem armstarken Ruder, wie uns ein Einheimischer erzählte.

Zufällig kommt ein fliegender Fisch vorbei. Dem geben wir der Eilbedürftigkeit wegen, unsere Luftpostkarten nach Vancouver mit!

Der Urwald lässt uns doch keine Ruhe. Wir versuchen noch einmal, mit dem Beiboot einen Fluss hinaufzufahren. Aber Links und Rechts nichts als eine undurchdringliche, bis an das Ufer gewachsene grüne Wand, die sogar ein Anlegen unmöglich macht.

Dazu gefährliche Untiefen, unter Wasser liegende Bäume und Stromschnellen machen den Wunsch einer „Landbesichtigung“ zu einer Illusion.

Nur vorbeiziehende Lachse treiben ihr Liebesspiel vor ihrem Tod. Mehrere Seehunde warten auf Beute und ein Otterpaar verschwindet im geheimnisvollen, dunklen Wasser.

9 Seal vlad namashko pLcc Inxxw0 unsplash 1320x0 c default
DIE TECHNISCHEN VERBINDUNGEN ZUR (REST)WELT

Der Bordtechniker braucht dringend ein Ersatzteil aus dem nächsten Hafen. Kein Problem – ein Wasserflugzeug ersetzt hier das Taxi. Ein Anruf mit Positionsangabe und prompt landet ein solcher „Vogel“ neben dem Boot. Teilweise haben diese Maschinen neben den Wasserkufen noch Räder. So können sie, wann und wo immer auch landen.

Es ist ein imposantes Bild, als der Pilot von einem schmalen Fjord heraus, mit ohrenbetäubendem Gedröhne startet. Solche Maschinen sind hier unentbehrlich, deshalb hat jedes Camp und jede Ranch einige davon. Die einzige Verbindung zur Welt ist das Radiotelefon. Das allerdings soll mehr dem Notfall, wie man merkt, und dem Wetterbericht dienen als belanglosen Gesprächen.

Auf der Rückreise ist teilweise dicke Nebelsuppe. Nur Echolot und Radar helfen in diesen gefährlichen Situationen weiter. Aber nicht immer. Wenige Meilen vor uns rennt eine Yacht direkt auf einen Felsen und sinkt sofort. Ironie des Schicksals: Nur das Radargerät ragt noch aus dem Wasser.

Wir ankern in einer abgelegenen Bucht. Plötzlich Rudergeräusche in stockfinsterer Nacht. Auf dem Radarschirm kommt ein Boot näher. Mit schussbereiten Gewehren erwarten wir die Piraten. Glücklicherweise sind es nur zwei harmlose Segler, die in der Nähe ankern und dringend Navigationshilfe brauchen.

Unsere übertriebene Vorsicht war trotzdem richtig, denn es kommt immer wieder vor, dass Boote von Rauschgiftschmugglern überfallen werden.

Eine einsame Trauminsel mit breitem Sandstrand liegt an unserem Weg zurück nach Vancouver. Nur noch die Südsee kann ein solches Paradies bieten. Ein heraufziehender Sturm lässt uns leider wenig Zeit, die Schönheiten dieses Kleinods auszukosten.

Zu beneiden unsere Freunde, die sich hier eine Ferienwelt geschaffen haben.

Das lichterglänzende Vancouver steigt, wie eine unwirkliche Märchenstadt, in der Abenddämmerung aus dem Meer. Nach 1.200 km auf einem schwimmenden Zuhause, hat mich die Menschheit wieder. Jetzt kommt mein schwankender Seemannsgang erst so richtig zur Wirkung, nachdem ich die ganze Zeit nur Schiffsplanken unter den Füßen hatte. Trotzdem: Es lebe die christliche Seefahrt!

Ich aber baue auf die christliche Luftfahrt, in der Hoffnung auf einen sicheren Rückflug über 10.000 km in die Sardinenbüchse Deutschland. Dann werde ich meinen Wohnungsschlüssel diesmal nach links drehen und dem Schicksal danken, dass ich nach dieser weiten, erlebnisreichen Reise wieder glücklich nach Hause gekommen bin.

IS DENN KA NA DA?

Ein Bayer ist übrigens der Entdecker Kanadas. Als er damals dort an Land ging und niemanden sah, grantelte er vor sich hin: „Is denn ka na da?“ (ist denn keiner da) … und deswegen heißt jetzt … na ja, usw. usw. … Passt scho!

Gute Nacht ihr Lachse und Bären, der „Wolf“(gang) kommt bestimmt wieder und freut sich auf das Wiedersehn in eurer paradiesischen Welt.

Dass diese erhalten bleibt, ist mein größter Abschiedswunsch.

purpose eckstein welt 1 big11 800x0 c default

Seit seiner Kindheit ist unser Autor (geboren 1927) vom Reisen fasziniert. Er malte sich aus, wohin die Wolken wohl wandern und wünschte sich, er könnte mit ihnen davonsegeln. Seine grenzenlose Sehnsucht war, Kontinente zu überspringen, die Erde zu umkreisen und die Vielfalt der Länder zu erleben. Eines Tages, nach all den Wirren des Zweiten Weltkriegs, war es endlich soweit. Ein glücklicher Zufall gab ihm die Möglichkeit, in
40 Tagen, kurz bevor das Zeitalter des Jetfliegens begann, noch im niedrig fliegenden Propellerflugzeug und dadurch mit greifbar nahen Eindrücken, die Erdkugel über 52.000 Kilometer zu umrunden. Damit öffnete sich für ihn das Tor in die große weite Welt. Seine unvergesslichen Erlebnisse, beschreibt er in seinen Reiseberichten, die uns in eine verlorene Welt führen. Diese an der einen oder anderen Stelle wiederzuentdecken wäre sinnvoll, damit der Traum von einer besseren Welt, mit all ihren vielfältigen Wundern
und Menschen, wieder Wirklichkeit werden kann.

Fotos: Privat, iStock, Unsplash / Gabe, Tim Foster, Mado El Khouly, Thomas Lipke, Vlad Namashko, Pete Nuij