Mauritius

AUF DER SUCHE NACH EINER VERLORENEN WELT, TEIL 3: MAURITIUS

erschienen im Purpose Magazin

Zehn Religionen in beispielloser Toleranz, „Sega“, Lieder durchsetzt mit Spott, Weinen und Lachen, atemberaubende, intakte Natur – Mauritius ist eine Insel für Entdecker! Hier der Bericht aus einer Zeit, in der sie noch nicht von Kreuzfahrern überschwemmt war: Mauritius im Jahr 1987.

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TEXT: Wolfgang Eckstein

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Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv. www.wolfgangeckstein.eu

Kaltes, windiges Wetter, das einem den Sommer fast vergessen lässt.
Ein glücklicher Zufall, dass ich gerade jetzt auf einen Stecknadelkopf im Indischen Ozean fliege und hoffentlich trotz der dort herrschenden Winterszeit wohltuende Wärme finden werde. Doch meine helle Vorfreude wird zunächst bitter enttäuscht. Scheinbar hat der Wettergott weltweit schlechte Laune.

Nach einem zehnstündigen Nacht- und Nonstop-Flug Landung auf dem Flughafen Plaisance auf Mauritius oder besser lle Maurice, wie die Einheimischen stolz sagen, mit einem Seitenblick auf das erstaunliche ethnische Kaleidoskop, das die Insel als Spiegelbild ihrer Geschichte vorweist.
Ihren Namen verdankt sie dem ehemaligen Statthalter Prinz Moritz von Nassau.

TAXIFAHREN WIE IM MOTORBOOT

Der Kapitän kann die Maschine kaum in der Balance halten. Ein Orkan mit Wolkenbruch fegt über das Land. Triefnass erreiche ich die Halle des Flughafens. Dazu kommen noch umständliche Formalitäten bei der Pass- und Zollkontrolle. Endlich sitze ich mit meinen feuchten Klamotten in einem Taxi und trällere vor mich hin: „Wäre ich doch bloß in München geblieben“. Der von solchen Verhältnissen unberührte Fahrer durchpflügt die unter Wasser stehenden, braunschlammigen Straßen wie mit einem Motorboot. Hinter uns bildet sich ein breites Kielwasser, das bis zum ersten Stock der Häuser gischtet und jeden unachtsamen Fußgänger zum nassen, flüchtenden Etwas macht.

Nach einer Stunde bin ich endlich im Hotel, das mit seiner freundlichen Atmosphäre schnell die Wetterunbill der zu Ende gehenden Regenzeit vergessen lässt. Lächelnde, freundliche Gesichter des Personals, denen ich nur mit eigenem Lachen begegnen kann: „Have a good day, Sir“. Langsam wird mir klar, wo ich eigentlich bin. Mitten im Indischen Ozean auf einer winzigen Insel – 2000 km Meer zwischen hier und Afrika. Oft wird sie mit der 10.000 km entfernt liegenden Insel Martinique in der Karibik verwechselt.

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DIE BLAUE MAURITIS FÜR 700.000 MARK

Jeder hat aber bestimmt schon von der „Blauen“ gehört – von der „blauen Mauritius“, der teuersten Briefmarke der Welt. Erst kürzlich wurde sie für DM 700.000.- versteigert. Entstanden ist dieses wertvolle Stück durch den Leichtsinn eines verschlafenen Postbeamten, der 1847 die später so kostbaren Fehldrucke verursachte. Mauritius und seine Tourismus-Industrie könnten sich keinen besseren Werbegag ausdenken. Eine ewige, wertvolle und unnachahmliche Reklame.

DAS WUNDER DES KOSMOPOLITISCHEN MITEINANDERS

Die Insel ohne Urbevölkerung im tiefen Blau des Indischen Ozeans ist ein Makrokosmos, was ihre Sprache, ihre Landschaft und ihre Menschen betrifft. Eine glückliche Symbiose, die tatsächlich funktioniert. Sie alle leben friedlich auf ihrer Insel zusammen, als eines der raren Wunder echten kosmopolitischen Miteinanders. Sie halten ihre Glaubensbekenntnisse hoch, besuchen für ihre Andacht Tempel und Moscheen, Kirchen und Pagoden. Sie pflegen ihr Brauchtum und feiern ihre Feste.

Sie bringen aber die Toleranz ihres Zusammenlebens auch mir, dem Gast aus Europa, entgegen. So fühle ich mich als Fremder unter Fremden von der ersten Stunde an hier zu Hause, finde Kontakt, wo immer ich mit Einheimischen zusammentreffe. Ihre offene, natürliche Art gleicht ihrem urigen, ursprünglichen Land, das vielgestaltiger und abwechslungsreicher nicht sein könnte. In allen Farbnuancen von Caramel bis Schwarz schimmert ihre samtene Haut.

Unverkennbar ist der starke indische Einfluss in ihren Figuren, Augen und Haaren. Wie auf dem ewig leuchtenden Meer liegt stets ein Lächeln auf ihren feingeschnittenen Gesichtern. Immer bereit zu einem Scherz, einer hilfreichen Geste, einem guten Wunsch oder einer anteilnehmenden Frage.

Ihre Augen vereinen Melancholie, Glückseligkeit, Lachen und Weinen, aber immer siegt das Fröhliche.

DIE ARMUT UND DER BEGINN DES LUXUSTOURISMUS AUF MAURITIUS

Die lange Nacht zerfließt in eintönigem Rauschen des schweren Regens, der mehr einem Wasserfall gleicht und bis in die frühen Morgenstunden anhält. Die Mauritier sind an derartige Wechselbäder des Wetters gewöhnt. Mein Trost ist es, dass die Temperatur des Regens immer angenehm warm bleibt und mir leichte, bequeme Kleidung erlaubt.

Auf dem nahegelegenen Golfplatz komme ich mit einem „Caddy“ ins Gespräch. Sein Vater hat die Mutter, noch während Marino, so heißt der Junge, „unterwegs“ war, auf Nimmerwiedersehen verlassen. Natürlich ohne eine Unterstützung zu bezahlen. So musste die geplagte Frau drei Kinder alleine ernähren – mit einem Monatsverdienst von DM 150- und einer Miete von DM 70,-.
Ein Golfball kostet mich so viel wie ein Tagesverdienst dieser Frau beträgt. Als ich dann noch den täglichen Speiseplan erfahre, vergeht mir fast das Golfspiel vor Gewissensbissen. Jeden Tag morgens Reis, mittags Brot, abends Reis und am Sonntag Huhn.

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ALLE AUTOS FAHREN IN DER STRASSENMITTE!?

Meine erste Erkundungsfahrt über die Insel mache ich mit einem aufgeweckten, gesprächigen jungen Inder namens Sattish. Sein uralter Mercedes hat DM 30.000.- gekostet. Eine für Mauritier unvorstellbare Menge Geld. Für einen neuen müsste er sogar DM 200.000.- bezahlen. Ohne Sicherheitsgurt, den benutzt hier niemand, fühle ich mich bei dieser rasenden Fahrt ständig wie auf einen Schleudersitz.

Links und rechts entlang der Straße nichts als Zuckerrohrplantagen. Gelegentlich klare Bäche, an denen Frauen Waschtag abhalten. Wie buntes Konfetti liegen die Saris, Kleider und Betttücher auf dem struppigen Steingrau der Ufer ausgebreitet. Dazwischen Kleinbauern und indische Plantagenarbeiter, die in Hütten aus Kuhmist und Stroh wohnen. Die sengende Sonne gibt den ockerroten Mauern und den silbrig glänzenden Strohdächern eine erstaunliche Frische.

Alle Autos fahren in der Straßenmitte und weichen erst im allerletzten Moment aus. Diese eigenartigen Selbstmordmanöver machen mich nicht nur nervös, sondern auch neugierig und so erfahre ich Folgendes: Die Franzosen hatten angeordnet, dass rechts gefahren wird. Die Engländer als spätere Besatzer verlangten Linksverkehr. Jetzt sehen die Mauritier die einzige Alternative in der Straßenmitte. Außerdem ist da der Straßenbelag noch am besten.

Als ein englischer Oxford-Morris vorbeifährt, kommt Sattish ins Erzählen. Vor einigen Jahren spielte man den Film „Mutter Indien“, den jeder sehen wollte. Besonders die indische Landbevölkerung. die sich verständlicherweise mit ihrem Land stark verbunden fühlt. Da es viel zu wenig Autos gibt, stopfte man daher oft bis zu 22 Personen in einen solchen viersitzigen Morris, um überhaupt ins Kino zu kommen.

GENIALE IDEE: LAVASTEINE FÜR TOURISTEN

Entlang der kurvigen Straße stehen riesige Corambolbäume mit Passionsfrüchten. Auf allen Feldern liegen hohe Haufen von Lavasteinen, die beim Pflügen aus der Erde gerissen wurden. Mal zu Pyramiden, mal zu sorgfältig ausgerichteten Mauern geformt. Wohin sonst damit? Kürzlich hat jemand vorgeschlagen, diese Steine mit Muscheln zu veredeln und jedem Touristen einen solchen „Edelstein“ als Souvenir mitzugeben. Auf diese Weise würde man jedes Jahr 200.000 Steine außer Landes bringen. Superidee!!

Ähnlich effektiv war der Versuch, die vielen Ratten, die im Zuckerrohr erhebliche Schäden anrichten, auszurotten. Importierte, flinke und angriffslustige Mungos, eine Wieselart, sollten das besorgen. Man hat aber dabei übersehen, dass Mungos am Tag und Ratten dagegen nachts jagen und fressen. So sind sich die beiden Todfeinde nie begegnet. Der Schaden am Zuckerrohr war nachher größer als vorher.

FRÜHER WIE HEUTE SCHÖN: DER SIR SEEWOOSAGUR RAMGOOLAM BOTANICAL GARDEN

Ein kurzer Abstecher in den Pampelmousses-Garten, der zu den schönsten der Welt zählt. Die Vielzahl seiner seltenen Bäume und Pflanzenarten lässt sich nicht beschreiben. Besonders auffällig aber eine Seerose mit riesigen Blättern von einem Meter Durchmesser, die leicht ein Baby tragen könnten. Eine Talipotpalme, die alle hundert Jahre nur einmal blüht und dann stirbt. Der wichtigste Baum ist der einzige noch im Park stehende Pampelmousse, den man hegt und pflegt, wie ein kostbares Kleinod. Denn ginge dieser Baum ein, müsste der ganze Park umbenannt werden.

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IN DER HAUPTSTADT PORT LOUIS WIRD IN ALLEN SPRACHEN GEFEILSCHT

Port Louis, die Haupt- und Hafenstadt, zeigt ein quirliges Leben. Obwohl 150.000 Einwohner vieler Rassen unter ihren Dächern wohnen, gleicht sie mehr einer dörflichen Kleinstadt. Wie überall lohnt es sich auch hier, die verschiedenen Märkte zu besuchen, was ich auch ausgiebig mache. Es ist wie ein Blick in den Spiegel der Stadt. Ein Mosaik von Farben und Gerüchen, eine Mischung aus Pariser Markthallen, Orient Souk und Drugstore. Gesprochen wird hier kreolisch, bhodjpuri, chinesisch, englisch und französisch. Es wird in allen Sprachen gefeilscht.

Wenn die Sonne versinkt und die Nacht beginnt, die zahlreichen Sterne mit dem romantischen Kreuz des Südens auf dem hohen Tropenhimmel erscheinen, mischt sich in das Läuten der Kirchenglocken das Rufen des Muezzin. In den Hindu-Tempeln werden würzige Räucherstäbchen angezündet, im chinesischen Casino gehen die Lichter über den Spieltischen an und im eleganten französischen Restaurant wird der Aperitif gereicht. Die zehn Religionen leben in beispielloser Toleranz und bilden eine friedliche Lebensgemeinschaft.

SEGA, DIE „MUSIKALISCHE FREIHEITSECKE“

Die Musik ist hier für viele eine wichtige Klammer. Sega, ein Zauberwort, kommt irgendwoher. Vermutlich aus der Zeit der Sklaverei. Sega war und ist, damals wie heute, die musikalische Freiheitsecke. Lieder in einer Mischung von Liebe und Leid, durchsetzt mit Spott, Weinen und Lachen. Ein Tanz unter den von der Abendbrise zerwehten Kronen der fast bis in den Ozean wachsenden Pilao-Bäume, die unseren Kiefern ähnlich sind.

Die schmale Sichel des Mondes stanzt ein silbriges Filigran in den schwarzen Vorhang des Himmels. Die Milchstraße weist den Weg in die Unendlichkeit. Immer schriller werden die Stimmen der dunkelhäutigen, bunt gekleideten Frauen, der Rhythmus wird auf der mit Ziegenhaut bespannten und aus dem Stamm der Flaschenpalme geschnitzten Trommel geschlagen. Das Gerassel der Maravane, einer mit Körnern gefüllten Blechdose, unterstreicht das aufpeitschende Schauspiel. Die Körper umarmen sich, ohne sich je zu berühren.

Die Ekstase der Liebesvereinigung wird durch Hüftbewegungen angedeutet. Schweiß mischt sich im Sand zu kleinen Klumpen. Nur die völlige Erschöpfung kann diesen Sinnesrausch beenden.

PER HELIKOPTER VOM FROSCH ZUM VOGEL

Was mir gestern die Insel aus der Froschperspektive geboten hat, erlebe ich heute aus der Vogelperspektive. Im Steilflug steigt der Helikopter über die Palmenkronen, streicht über das breite Band des goldenen, feinsandigen Strandes. Scharf zeichnet sich mit schneeweißen Gischtkämmen die Kette von Korallenriffen ab, die sich rund um die Insel ziehen und nur an wenigen Stellen unterbrochen sind. Auch für neugierige Haie, die hier in Massen existieren, gibt es daher keine Möglichkeit, nahe an den Strand zu kommen. Am Riff allerdings tummeln sich Großfische wie nirgends auf der Welt.

Der bekannte schwarze und blaue Marlin, der bis zu 1.000 Pfund wiegt, die gefährlichen Barracudas und natürlich die Haie, allen voran der Grauhai, der bis zu neun Meter lang werden kann. Von oben besonders gut zu sehen sind verschwiegene, tief ins Land eingelagerte Lagunen von jadegrün bis blau, voller Romantik und Beschaulichkeit. Vom unergründlichen Nachtblau des Ozeans bis zum hellen Weißgoldrand des Strandes, zaubern die Sonnenstrahlen alle Schattierungen funkelnder Smaragde in das kristallklare Wasser.

Im Landesinnern, soweit das Auge reicht, Zuckerrohrplantagen. An den Berghängen Teefelder. Bananenwälder und Ananasgärten. Schroffe Bergmassive setzen einen Kontrapunkt zu den sanften Sandgestaden. Gelegentlich efeuüberwachsene, verfallene Ruinen. Ein Ambiente, das Baudelaire mit „Land der Düfte, das die Sonne segnet“ umschrieben hat.

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HERRLICH, DIE KORALLENGÄRTEN!

Am Nachmittag erhalte ich mittels eines Glasbodenbootes einen Einblick in die Tiefe des Ozeans, mit seiner buntschillernden Meeresflora und -fauna – ein faszinierendes Erlebnis. Herrliche Korallengärten aus Tisch-, Pilz- und Federkorallen. In allen Farben, von orange bis kobaltblau leuchtende Papageienfische, bräunlichrote Rotfeuerfische und dicklippige Seebarsche. Dazu zahllose Muscheln und Schneckenarten.

Der Abend nimmt die Insel in Besitz. Rasch, fast ohne Dämmerung, wie ich es in den Tropen immer wieder erlebt habe. Schmale Fischerboote mit spitzen, flossenähnlichen Segeln, ziehen begehrlich heimwärts. Melancholische Lieder aus heiseren Kehlen klingen über das in den letzten Sonnenstrahlen glitzernde Wasser. Noch schnell einmal schwimmen im sanft anrollenden Ozean. Fröstelnd in der abendlichen Brise schaue ich zurück an den silbrig gestreiften Horizont, bis der für mich vom Himmel bis zum Meeresgrund reichende ausgefüllte Tag seine Augen schließt.

Doch in diesem besinnlichen Moment startet der indische „Insektenvertilger“ des Hotels eine ernüchternde Aktion, indem er in den Gartenanlagen mit höllischem Lärm dicke, grauweiße, stinkende Wolken versprüht, um die Gäste von der Mückenplage zu befreien. Schnell verdränge ich den jede Illusion raubenden Gasangriff, blicke in den sternenübersäten Himmel und lasse meine Gedanken vom Abendwind davontragen. Die Nacht legt sich wie ein schwarzes Tuch über das Land. Gleich Löchern funkeln darin die Lichter der Lampen und die Scheinwerfer der Autos.

SEGEL- STATT KREUZFAHRTSCHIFF

Mauritius ist eine Insel für Entdecker, und auch ich kann mich dieser Faszination nicht entziehen. Ein „Törn“ mit einer Segelyacht steht heute auf meinem Programm. Nach einer Schaukeltour mit einem Bus über die von den schweren Regenfällen des vergangenen Sommers mit Schlaglöchern übersäten Straßen, finde ich mich in der malerischen Bucht von Grand Baie im Norden der Insel wieder. Da liegt sie schon, die „Hummingbird“, zum Auslaufen bereit. Herzliche Begrüßung an Bord mit einem kräftigen Rum-Drink.

Die Segel sind gesetzt und mit einer steifen Brise im Rücken geht es die reizvolle Küste entlang. An Bord herrscht beste Stimmung, nur ein griesgrämiger komischer „Vogel“ spielt zu aller Verdruss seine schlechte Laune aus. Zwei Gläser Rotwein beheben aber auch diesen „Schaden“. Außerdem macht er noch Sturzflug in die Kajüte und landet auf dem Rücken. Er hatte trotz mehrfacher Aufforderung des Kapitäns seine Schuhe nicht ausgezogen.

Wer nicht hören will, muss eben leiden, denn Neptun ist überall. Bei einem Ausflug in die bunte Korallenwelt mit dem notwendigen Tauchgerät, begegnet mir eine Vielzahl von Meeresbewohnern, u.a. ein riesiger Tintenfisch, eine Seeschlange und ein Speerfisch. Ein köstliches Essen von der charmanten Frau des Kapitäns in der winzigen Kombüse gezaubert, schließt die Ankerrast in der friedlichen Bucht ab. Auf der nur ungern angetretenen Rückfahrt zieht eine drohende schwarze Wolkenwand auf. Der Kapitän segelt ihr aber davon und so erreichen wir unbeschadet nach einer zügigen Fahrt, oft in erheblicher Schräglage, den schützenden Hafen.

KÖSTLICHKEITEN DER NATUR, KULINARISCH TRADITIONELL ZUBEREITET

Im Hotel ist ein festlicher Grillabend im Freien arrangiert worden, der aber im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fällt. Die ganze wunderschön aufgebaute Dekoration und das geradezu kunstvoll gestaltete Buffet, wird von einem plötzlichen Wolkenbruch hinweggeschwemmt. Wir flüchten in die Innenräume, während das Personal verzweifelt versucht, zu retten, was zu retten ist. Riesige Frösche machen dazu ein Konzert, als ob sie sich schadenfroh über diese unseligen Zustände freuen. Oder haben sie uns das aus vielen Köstlichkeiten von Mauritius zusammengestellte Essen nicht gegönnt – von einer Küche, die aus den großen kulinarischen Traditionen von Frankreich, China und Indien erwachsen ist? Fleisch, Früchte, Gemüse und Gewürze der Insel sind Voraussetzungen für Gaumenfreuden. Man versteht es hier meisterhaft, diese von der Natur gebotene Chance vielfaltig für Augen und Zunge umzusetzen.

FISCHEN IN DER STÜRMISCHEN NACHT

Die Segelpartie am Vormittag hat mich Landratte derart begeistert, dass ich sofort wieder, diesmal mit einem Trimeran, einem der schnellsten Boote und einer tüchtigen Crew, vor den Korallenriffen kreuze. Das Meer lässt mich jetzt nicht mehr los und hat meine Neugierde zutiefst geweckt. Jagd auf die Jäger der Ozeane beim Tiefseefischen, das ist es, was ich mir heute vornehme. Die Sonne räkelt sich noch hinter dem Horizont, bevor sie ihren Tageslauf beginnt.

In der Dunkelheit das dumpfe Tuckern unserer Motoryacht. Die unklaren Gestalten der meererfahrenen Fischer huschen über das Deck im fahlen Licht der Bordlampen. Angeln werden gerichtet, Köder präpariert und Haken befestigt. Die Wetterstation hat Sturm gemeldet, aber wir lassen uns davon nicht abhalten. Das Boot kämpft nach dem Verlassen der Riffbarriere gegen schwere Brecher an. Nach einer Stunde „füttert“ der erste von uns die Möwen mit seinem Frühstück. Graugrün im Gesicht und mit verdrehten Augen wäre ihm der Tod wahrscheinlich lieber, als diese stürmische Fahrt bei Windstärke 6 mit fünf Meter hohen Wellen weiterhin mitzumachen.

Uns ist es auch recht mulmig im Magen. Mit an Bord ist das Skiabfahrts-Ass der Weltelite Resch, der gar nicht so mutig dreinschaut wie sonst vor einem Rennen. Nach drei mühsamen Stunden immer noch kein Fisch am Haken. Erst ein Möwenschwarm zeigt uns den richtigen Platz und dann ist uns das Anglerglück hold.

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ZU BESUCH BEI SATTISH UND SEINER FAMILIE

Am nächsten Tag gibt es wieder eine Landpartie in den Südwesten der Insel. Mein treuer Fahrer Sattish lädt mich zu einem kurzen Stopp in sein Haus ein, das am Weg liegt. Er nennt es das „weiße Haus“ mit einem Seitenblick auf Washington. Sein ständiger Traum sind Reisen in andere Länder, obwohl er wahrscheinlich nie eine Chance haben wird, die Insel zu verlassen. Der Besuch gibt mir einen aufschlussreichen Einblick in die Wohn- und Lebensgewohnheiten einer einheimischen Familie. Der persönliche Kontakt und die Gespräche mit der Frau, den Kindern, der Mutter und der Großmutter sind ein tiefes menschliches Erlebnis, das einem als Tourist normalerweise nicht widerfährt.

Dann geht es wieder durch endlose Zuckerplantagen, die leider die Sicht über das Land nehmen. Ein Gefühl, als ob man durch einen grünen Tunnel fährt, dessen Decke allerdings das Blau des Himmels bildet. Das Zuckerrohr ist nämlich über vier Meter hoch. In wenigen Tagen beginnt die Zuckerrohrernte.

Teeplantagen verändern später das Bild der Landschaft. Alle zwei Wochen werden die jungen Spitzen der Teepflanzen von geschickten Händen abgepflückt und zu dem herrlich schmeckenden Kreol-Tee verarbeitet. Die Pflückerinnen wirken in den Teefeldern wie freundliche farbige Tupfer in einem Meer von sattem kräftigen Grün.

„PFEIFE REINIGEN“ ZWISCHEN FILAOS

In Curpipe, einem der höchstgelegenen Orte im Innern der Insel, treffe ich dann Dany, der mir die malerische Westküste zeigen will. Curpipe heißt übersetzt „Pfeife reinigen“. Entstanden ist dieser eigenartige Ortsname durch die Fahrgäste, die immer genau eine Pfeife lang Zeit hatten, um von ihrem Heimatort aus nach Curpipe zu kommen. Dann hieß es „Pfeife reinigen“.
Schwer beladene Fahrradfahrer kommen uns entgegen. Sie schleppen Teestauden, die als Brennholz dienen. Idyllisch liegen Bungalows palmengefächert zwischen raunenden Filaos. Diese gegen den Wind wachsenden Bäume lassen immer wieder an den verheerenden Zyklon denken, der 1976 mit über 200 km/h über das Land raste. Durch ihre schützende Wirkung haben Sie noch Schlimmeres verhindert.

„Tarzan-Bäume“ erinnern mit ihren langen, herunterhängenden Lianen an den bekannten „Muskelmacho“ aus dem Dschungel. Holzbauten mit umlaufender Veranda, Reminiszenz an die alte Kolonialzeit. Gelegentlich ein schlaksiger torkelnder Eingeborener, der dem Nationalgetränk Rum gut zugesprochen hat. Herumtollende, winkende, arme, aber fröhliche Kinder am Straßenrand, die sich in Pose setzen, um von mir gefilmt zu werden.

Starker Regen, der die Straße blockiert, hindert uns daran, noch weiter nach Süden zu fahren. Wir besuchen das Land der bunten Erde, eine Stelle, an der sich der Boden in sieben verschiedenen Farben zeigt. Niemand kann sich dieses Phänomen erklären – eine geologische Kuriosität. Bananenplantagen wechseln sich ab mit Ananasfeldern, eingelagert in undurchdringlichen subtropischen Urwald.

Ein kleines Bauerndorf, dessen einziger Reiz in der Üppigkeit seiner Umgebung liegt. Der Gipfel des Berges, nach dem es benannt ist, überragt das grüne Wogen der Zuckerrohrfelder. Ein kleiner einsamer Weiher mitten im Dschungel, eine Symphonie in Grün.

„LIEBER TOT, ALS SKLAVE“

Von Weitem schon ragt der Mornfelsen steil aus dem Meer, ein gigantischer Basaltblock. Wie ein stilles Monument aus der Zeit vor acht Millionen Jahren, als Mauritius durch eine gewaltige Eruption aus dem Meer geboren wurde. Ihn umgibt eine tragische, aber wahre Geschichte. Sklaven haben sich vor Jahren auf seinen Gipfel zurückgezogen und eine ganze Zeit von Affen, Ratten, Vögeln und den kärglichen Früchten der Felsen gelebt. Als endlich die französischen Befreier sich näherten, gerieten die Sklaven in Panik, da sie meinten, wieder in die Sklaverei zurückgeholt zu werden. So beschlossen sie nach dem alten Wort „lieber tot, als Sklave“ zu sterben und sprangen alle von den Felsen in den sicheren Tod.

DER LETZTE TAG IM PARADIES

Die Fahrt entlang der Westküste vermittelt ein abwechslungsreiches Bild von weitgeschwungenen Buchten und langgestreckten, dicht bewaldeten Landzungen und Inseln. Die Dämmerung als Vorboten der Nacht taucht das Land in ein fahles Rot, ausgestrahlt von der rotglühenden Sonnenscheibe, die es eilig hat in ihr „Wasserbett“ hinter dem Horizont zu steigen.

Eine harmonische entspannende Abendstunde auf der Terrasse bei Eva und Dany mit einem Sundowner in der Hand. Der letzte Abend in einem Paradies, für das man einen Vergleich lange suchen muss.

Beim Abflug, damit der Abschied nicht so schwerfällt, ein warmer Tropenregen. In München dagegen, 10 Stunden später, der gleiche windgepeitschte Regen, wie bei meiner Abreise vor 10 Tagen. Was sollte ich dem unfreundlichen Wettergott anderes entgegensetzen als meine unvergessliche Erinnerung an Sonne, See, Sand, an immer freundlich lächelnde Menschen und die Hoffnung, das Land der blauen Mauritius bald wiederzusehen.

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Seit seiner Kindheit ist unser Autor (geboren 1927) vom Reisen fasziniert. Er malte sich aus, wohin die Wolken wohl wandern und wünschte sich, er könnte mit ihnen davonsegeln. Seine grenzenlose Sehnsucht war, Kontinente zu überspringen, die Erde zu umkreisen und die Vielfalt der Länder zu erleben. Eines Tages, nach all den Wirren des Zweiten Weltkriegs, war es endlich soweit. Ein glücklicher Zufall gab ihm die Möglichkeit, in
40 Tagen, kurz bevor das Zeitalter des Jetfliegens begann, noch im niedrig fliegenden Propellerflugzeug und dadurch mit greifbar nahen Eindrücken, die Erdkugel über 52.000 Kilometer zu umrunden. Damit öffnete sich für ihn das Tor in die große weite Welt. Seine unvergesslichen Erlebnisse, beschreibt er in seinen Reiseberichten, die uns in eine verlorene Welt führen. Diese an der einen oder anderen Stelle wiederzuentdecken wäre sinnvoll, damit der Traum von einer besseren Welt, mit all ihren vielfältigen Wundern
und Menschen, wieder Wirklichkeit werden kann.

Fotos: iStock, Unsplash / Xavier Coiffic, Easycab Mauritius, Dan Freeman, Julia Joppien, Ashim DSilva, Fabienne Sypowski-Meyer